Corona als Chance für die Digitalisierung
Aktuell ist Hochsaison für lustige Bilder und Videos, welche über Whatsapp und Facebook geteilt werden. Die meisten davon ringen uns kurz ein Lächeln ab, sind aber schnell wieder vergessen. Doch eines dieser Bilder ist mir in den letzten Tagen besonders in Erinnerung geblieben. In diesem wurde gefragt, wer denn die Digitalisierung im Unternehmen vorangebracht habe: Der CEO, COO oder COVID-19?
Diese Frage zeigt exemplarisch, dass die Coronakrise auch einen positiven Aspekt haben kann: Die Digitalisierung hat in diesen Wochen einen Schritt gemacht, welcher ansonsten wohl noch Jahre gedauert hätte. Jene Firmen und Betriebe, welche bereits vor längerer Zeit) in digitale Infrastruktur investiert haben, haben nun ein Problem weniger. Ich konnte es in meiner Firma gut beobachten: Kaum verkündete der Bundesrat den Lockdown, bekamen sämtliche Mitarbeiter die Anweisung, ab dem nächsten Tag von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Umstellung funktionierte problemlos, wohl auch wegen der Firmenkultur: Digitale Meetings via Skype gehören schon lange zum Standard, wie auch eine rein digitale Dokumentenverwaltung. Doch diese Mentalität ist leider noch nicht überall angekommen: In vielen Verwaltungen beispielsweise wurde Homeoffice bisher als unmöglich angesehen. Seit dem 17. März weiss man nun: Es ist nicht unmöglich. Allerdings fehlt es an Effizienz, da oftmals sogenannte «collaboration tools» fehlen – also Programme und Arbeitsmethoden, um unabhängig vom Standort miteinander zu arbeiten.
Es ist auch klar: Nicht in allen Branchen gibt es überhaupt solche Möglichkeiten: Betreuerinnen, Köche, Handwerker und viele andere können gar nicht oder schlecht über Wochen oder gar Monate von zu Hause arbeiten. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch: Viele Läden und Restaurants sind nach Wegbrechen der traditionellen Verkaufskanäle auf digitale Varianten umgestiegen, teilweise sogar mit grossem Erfolg. Dies mag zwar auch der aktuellen Lage geschuldet sein, doch die Investition wird sich nachhaltig auszahlen. Nebenbei muss hier festgestellt werden: Ob eine solche Innovationskraft in kurzer Zeit auch mit einem bequemen Grundeinkommen möglich gewesen wäre, ist zu bezweifeln.
Doch nur mit einem Mentalitätswandel ist es nicht getan. Wir brauchen auch Infrastruktur, allem voran muss der Gigabit-Ausbau schneller vorangehen. Das beschränkt sich aber nicht bloss auf Glasfaser bis in den Kuhstall. Es benötigt auch einen Ausbau von 5G. Neben technischen Fortschritt könnte der Staat Geld sparen: Wenn ich über das mobile Netz 1 Gbit/s übertragen kann, dann muss die Gemeinde auch keine Glasfaserkabel unter der Strasse verlegen, wie das vielerorts schon passiert ist. Ein mobiler Router zuhause reicht dann völlig aus. Insbesondere in den Ballungsräumen, welche aufgrund der Zuwanderung immer mehr Menschen aufnehmen müssen, wird die Bandbreite im Mobilnetz mittlerweile knapp. Das bedeutet nicht bloss, dass das Anschauen von Videos im Zug Probleme macht: Zukunftstechnologien wie zum Beispiel selbstfahrenden Autos, Vernetzungen von Industriemaschinen und viele andere Anwendungen sind so schlicht nicht möglich.
Der Staat und seine Dienstleitungen haben ebenfalls noch Nachholbedarf. Paradebeispiel ist hier die E-ID, gegen welche das Referendum ergriffen wurde. Dabei brauchen wir dringend eine Lösung, mit welcher wir uns digital ausweisen können. So könnten Firmengründungen endlich vereinfacht werden, Behördengänge massiv reduziert und die Eröffnung eines Bankkontos rein digital abgewickelt werden. Das ist für den Bürger nicht nur bequemer, sondern kann sich schlussendlich auch finanziell lohnen: Wenn Verwaltungsprozesse digitaler und automatischer abgewickelt werden, dann wird im Endeffekt auch das staatliche Personalwachstum verlangsamt oder gar gestoppt werden können.
Aber auch klar ist, dass nicht alles Gold ist, was glänzt: Überall mit Karte bezahlen? Das ist zwar bequem und schnell, die PIN-Tasten können so aber in der Migros auch schnell zur Virenschleuder werden. Auch der gläserne Bürger rückt so leider immer näher. Je digitaler die Bevölkerung ist, desto grösser wird vermutlich auch der Drang von verschiedenen offiziellen Stellen, personifizierte Daten daraus zu nutzen. Wie schnell der Staat sein kann, wenn es um die Freigabe von heiklen Daten geht, wissen wir spätestens seit dem Wegfall des Bankgeheimnisses für Ausländer und den Bestrebungen, dies auch im Inland durchzusetzen.
Das Virus zeigt uns aber trotzdem auf, wie schnell unser Land den digitalen Wandel voranbringen kann, wenn es denn will. Dass täglich hunderte Bundesbeamte den Zug von Zürich nach Bern belegen? Muss nicht sein. Für ein Dokument oder Behördenprozess auf die Gemeinde gehen? Kann auch anders gehen. Es bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Entwicklung nach der Aufhebung des Lockdowns nicht plötzlich zum Stillstand kommt, sondern die Chance für eine digitale Zukunft endlich genutzt wird. Auch wenn dafür noch viel Arbeit nötig ist.